
(Kai Littmann) – Das Szenario wäre eines Films von Roland Emmerich würdig. Deutschland erwachte gestern Morgen und war nicht mehr Deutschland, sondern „Merkelland“. Bei den Parteien hatte man offensichtlich die Nacht durchgemacht, denn bei den Pressekonferenzen am Montag sahen einige der Akteure deutlich übernächtigt aus und Sigmar Gabriel verriet, dass Angela Merkel „um 9 Uhr versucht habe ihn anzurufen“. Was bedeutet, dass auch die Nacht für Angela Merkel sehr kurz war…
Der Wahlerfolg der CDU ist tatsächlich ein Erdrutsch. Im Laufe des Montags reagierten dann die Parteien. Zuerst machte die FDP den Weg frei für einen Generationswechsel an der Spitze – ungefähr ein Jahr zu spät und ob es dem designierten Parteichef Christian Lindner gelingen wird, die Liberalen aus der politischen Bedeutungslosigkeit wieder herauszuführen, ist mehr als fraglich.
Einen ähnlichen Generationswechsel erleben gerade auch die Grünen. Nachdem Vorstandsmitglied Volker Beck erst einmal im Alleingang seinen Rückzug verkündete, bot später der ganze Parteivorstand seinen Rücktritt an. Parteichef Cem Özedemir erklärte, dass es für diesen Wechsel höchste Zeit sei, denn „die Grünen müssen sich nach 30 Jahren nun für die nächsten 30 Jahre aufstellen“ – offensichtlich haben die Parteien erst am 23. September gemerkt, dass sie mit dem falschen Personal angetreten sind.
Zwar erklärten SPD und Grüne, dass „der Ball nun im Spielfeld von Angela Merkel liege“ und dass es nun Merkels Aufgabe sei, sich einen Partner zum Regieren zu suchen, doch darf man diese Aussage als Vorgeplänkel für die nun kommenden Koalitions-Sondierungen werten. Doch angesichts der Kräfteverhältnisse in „Merkelland“ sollten sich SPD und Grüne vor einer Poker-Partie in Acht nehmen. Wenn die anderen am Tisch wissen, dass man nichts auf der Hand hat und nur blufft, kann man nicht viel gewinnen. Im widrigsten Fall bekommt man Neuwahlen, die in „Merkelland“ für die politischen Gegner von „Übervater“ Angela Merkel verheerende Folgen haben könnten.
Sigmar Gabriel warnte zwar vor einer überstürzten Großen Koalition, da „Angela Merkel alle bisherigen Koalitionspartner ruiniert habe“, doch läuft alles auf eben diese Große Koalition hinaus. Und Sigmar Gabriel wird der starke Mann der SPD sein, was man gestern auf der Pressekonferenz deutlich merkte. Neben dem sichtlich gezeichneten Peer Steinbrück gab sich Gabriel fast gut gelaunt und dazu fehlte auf dem Podium Frank-Walter Steinmeier. Ein Zeichen, dass ab sofort Sigmar Gabriel den Ton bei der SPD angeben wird.
Die theoretisch immer noch mögliche Option Rot-Rot-Grün bleibt - theoretisch. Keine der drei involvierten Parteien ist mental und politisch auf eine solche Option eingerichtet, doch auch, wenn man sich im Bund um diese Frage drückt und stattdessen trotz einer Mehrheit die Geschäfte des Landes lieber in den Händen von „Übervater“ Angela Merkel lässt, werden sich die Parteien genau mit dieser Frage sofort auseinandersetzen müssen, denn in Hessen droht bereits ein „Ypsilanti 2.0“. Wie bei der letzten Landtagswahl könnten SPD, Grüne und Linke gemeinsam regieren – sollte sich die SPD erneut einer Zusammenarbeit mit der Die Linke verweigern und somit Volker Bouffier (CDU) im Amt lassen, wird sie schon bald ihren Wählern erklären müssen, warum man überhaupt noch SPD wählen soll, wenn am Ende die SPD-Stimmen dazu dienen, die CDU-Regierenden im Amt zu halten. Insofern verstand man gestern auch Gregor Gysi, der den anderen Parteien links der CDU ins Stammbuch diktierte, „dass es an der Zeit sei zu lernen, Mehrheiten zu respektieren“ – ein Satz, der plötzlich auch bei einigen Spitzenleuten der SPD und den Grünen nicht mehr nur auf Ablehnung stößt. Sollte die SPD auch Hessen an die CDU abschenken, könnte es irgendwann auch einmal im Bundesrat eng werden.
Nur die CDU verhielt sich gestern ruhig und souverän. Das konnte sie auch. Wenn man weiß, dass man weder eine Erfolgsbilanz, noch ein zukunftsorientiertes Programm braucht und einem die Wählerinnen und Wähler trotzdem in Scharen zulaufen, dann kann man auch recht entspannt in die Zukunft blicken.
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